Die Lebensgeschichten der Kinder aus den Slums Mumbais ähneln sich häufig. Es sind Geschichten, die von großen Anstrengungen, großen Hoffnungen und oft von Enttäuschungen und großer Traurigkeit erzählen. Sie erzählen vom langen Weg, den viele Familien hinter sich haben, wenn sie in Mumbai ankommen, als Landflüchtlinge oder Arbeitsmigranten, mittellos, ohne konkrete Aussicht auf Arbeit oder Ausbildung. Immer aber mit großem Optimismus und in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Zu verlockend ist der Traum vom Aufstieg aus der Armut zu Wohlstand und Anerkennung, vom Slumdog zum Multimillionär oder Bollywoodstar. Wo, wenn nicht hier, in Indiens größter Stadt, soll der Traum vom besseren Leben, wenigstens für die eigenen Kinder in Erfüllung gehen?
Es scheint hier ja auch alles vorhanden zu sein was Kinder brauchen um gut aufzuwachsen: Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Förder- und Freizeitangebote. Die Wirklichkei, in der sich die Zuwanderer schnell wiederfinden, sieht leider ganz anders aus. In den Slums fehlt der Zugang zu Schulen, ärztlicher Versorgung und gesellschtaftlicher Teilhabe. Gewalt und Ausbeutung sind an der Tagesordnung. Ein UNICEF Bericht beschreibt den harten Kinderalltag in städtischen Elendsvierteln. Er zeichnet damit auch ein gutes Bild vom Umfeld und den Lebensbedingungen, aus denen unsere Patenkinder bei Prem Dan stammen.
Zunächst ein paar Zahlen: Der Anteil der Kinder, die weltweit in Städten groß werden steigt stark. In einigen Jahren leben mehr Kinder in der Stadt als auf dem Land. Am Beispiel Mumbais läßt sich diese Entwicklung gut beobachten. Mumbais Bevölkerungswachstum ist wegen des Zustroms von Landflüchtlingen und einer hohen Geburtenrate ungebrochen. In wenigen Jahren wird die 20 Millionenmarke erreicht. Wann weiß man natürlich nicht genau, da es hier keine Einwohnermeldeämter oder aussagekräftige Volkszählungen gibt. Kinder werden geboren, die es offiziell gar nicht gibt. Die Hälfte der Einwohner Mumbais lebt in Slums- oder in Armenvierteln. Jeder Dritte ist jünger als 15 Jahre. Insgesamt müssten also ca. drei bis vier Millionen Kinder unter ärmlichsten Bedingungen leben – Tendenz steigend. Die Metropole wächst, doch die Infrastriktur wächst nicht mit. Es fehlen Schulen, Ärzte, Sozialarbeiter.
Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal – es fehlt der Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und gesunder Ernährung. Lebensmittel werden in den Slums Mumbais ungekühlt in Plastiktonnen gelagert. In den Slums Indiens gilt jedes zweite Kind infolge von Unter- und Mangelernährung als geistig und körperlich zurückgeblieben. Wer die Kinder im Umfeld von Prem Dans Vorschule im Reay Road Slum vor Augen hat, weiß wovon wir sprechen. Laut UNICEF Studie sind die Risiken in städtischen Elendsvierteln überproportional hoch. Gewalt und Ausbeutung gedeihen auf dem Nährboden von Armut. Kinderarbeit und Kinderprostitution sind Probleme, die es in Indien offiziel gar nicht gibt. 30 – 50 Prozent der Kinder werden nach der Geburt nicht registriert. Polizei und eine überforderte Verwaltung können Bestimmungen zum individuellen Kinderschutz deshalb gar nicht durchsetzen und sehen leider viel zu oft weg. Kinderarbeit, der Zwang also, zum Überleben der eigenen Familie beizutragen, ist auch einer der Gründe dafür, dass bis zu 50 Prozent der Slumkinder weltweit keine Schule besucht, auch wenn diese vielleicht in der Nähe liegt.
Von den Verheißungen eines guten Lebens in der Stadt, von den Chancen, die sie zumindest Wohlhabenden bietet, haben Kinder aus ärmsten Verhältnissen so gut wie nichts. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird tiefer. Die Lebensverhältnisse der Kinder werden sich lt. UNICEF Studie durch anhaltende Zuwanderung und den unvermindert hohen Geburtenraten eher verschlechtern. Gesellschaften und Städte wie Mumbai müssten viel stärker auf die Bedürfnisse von Kindern ausgerichtet werden. Die Chance auf ein Leben in Sicherheit, eine Perspektive auf eine gute Zukunft und ein kindgerechtes Heranwachsen, hängen wohl in keinem Land so sehr von der Geburt in die richtige soziale Schicht ab, wie in Indien.
Quellen:
UNICEF – Mediathek Unicef Bericht zur Situation der Kinder in der Welt 2012 www. Unicef.de/Presse/2012/unicef-bericht-zur-situation-der-kinder-in-der welt/
Spiegel Online – 28.2.2012 Im Elend der Städte (von B. Hans) + 29.2. 2012 Geraubte Seelen – Prostitution Minderjähriger in Bangalore (J. Pennekamp)