30.1.17 Anfang April 2009 berichtete die indische TV-Station NDTV erneut vom massenhaften Selbstmord indischer Bauern aus der Region Vidharba. In der Baumwollregion, die ca. 600km östlich Mumbais liegt, nahmen sich nach einer verheerenden Missernte Dutzende Landwirte innerhalb weniger Tage das Leben. Eine Statistik des Bundesstaates Maharashtra, dessen Hauptstadt Mumbai ist, spricht gar von einem Bauernselbstmord in der Baumwollregion alle acht Stunden. Diese erschreckenden Zahlen aus Indiens „Selbstmordgürtel“ Vidharba lenken den Blick auf die Verlierer der indischen Boom-Wirtschaft: Indiens Landwirte. Sie leben in unfassbaren Elend. Viele von ihnen wählen in ihrer Verzweiflung als letzten Ausweg den Freitod, unzählige andere verlassen ihre Dörfer und fliehen mit ihren Familien aus der extremen Armut und Abhängigkeit von Geldverleihern. So wächst Mumbai allein durch die Zuwanderung aus den stark verarmten Landregionen Indiens jeden Tag um geschätzte 1000 bis 1500 Menschen. Viele Kinder Prem Dans stammen aus diesen Familien, die alles außer ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben verloren haben. (Photo: news.de)
Mehr zur verzweifelten Situation indischer Kleinbauern lesen Sie hier in unserem Hintergrundbericht…
Wenn wir auf unseren Besuchen bei Prem Dan gelegentlich mit den Eltern der Kinder ins Gespräch kommen, so bekommen wir fast immer auf unsere Fragen nach dem Geburtsort oder der persönlichen „Mumbai-Geschichte“ eines zu hören: Wir stammen aus einer Region, in der es für uns keine Arbeit gab, oder: Wir kommen aus einem Dorf wo wir als Bauern kein Einkommen erzielen konnten, das zum Überleben reicht und wir keine Chancen für uns und unsere Kinder sahen. Der Vater von Adarsh Ray zum Beispiel, einem Schützling Prem Dans aus der neunten Klasse, berichtete von zwei Missernten in Folge, die letztlich zum Verlust seines kleinen Stück Landes führten. Ein Geldverleiher, dem er den Kredit von umgerechnet wenigen Hundert Euro nicht zurückzahlen konnte, zog seine als Sicherheit gegeben Äcker ein.
Seine Geschichte ist typisch für Indiens Kleinbauern. Oft kommt es, wie im Herbst 2009 in der Region Vidharba, durch das Ausbleiben des Monsoonregens zu Wassermangel und großer Dürre. Die Ernte fällt aus, die Bauern verarmen. Zum Überleben der Familie und zum Kauf neuen Saatgutes oder Düngers müssen sie sich bei oft skrupellosen Geldverleiern zu Wucherzinsen verschulden. Banken gewähren Kleinbauern wegen des hohen Ausfallrisikos keinen Kredit. Fällt die nächste Ernte erneut gering oder ganz aus sitzten sie in der Schuldenfalle. Der eigene Landbesitz geht verloren. Viele private Geldverleiher sind deshalb zugleich die größten Grundbesitzer. In ihrer Ausweglosigkeit töten sich in jedem Jahr etwa 17.000 Bauern. bauern-selbstmorde waisen spiegelde afp.jpgFür ihre kinderreichen Familien verschärft sich die Notlage dadurch enorm. (Quelle Photo: Spiegel.de – afp)
Selten wird die Lage der indischen Bauern in den Medien erwähnt. Der prestigeträchtige Boom der IT-Branche, der Aktienmärkte und die Wachstumsraten bestimmen die Berichterstattung. Zu Unrecht, da zwei Drittel der Indischen Bevölkerung – .ca. 700 Millionen Inder – direkt oder indirekt vom Agrarsektor abhängig sind, sein Anteil des am Bruttoinlandsprodukt jedoch bei weniger als 20 Prozent liegt. Diese Tatsache erklärt auch das niedrige durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen der Inder (829 USD – z.Vgl. BRD USD 23.500) und die großen sozialen Probleme des Subkontinents. Über 600 Millionen Menschen leben von weniger als zwei Euro am Tag, nur knapp jeder Zweite kann lesen, vier von zehn Kindern sind mangelernährt.
Die Probleme der Landbevölkerung sind nur zum Teil den schwierigen klimatischen Bedingungen geschuldet. Die Öffnung der Agrarmärkte im Zuge der Globalisierung, die von der Welthandelsorganisation WTO durchgesetzte Senkung der Importzölle, der Wegfall garantierter Abnahmepreise, – all dies setzt die Bauern einer zunehmenden Konkurenz aus und führte in den letzten Jahren zum dramatischen Verfall der Preise. Bauern aus der Baumwollregion Vidharba konkurrieren heute mit staatlich subventionierter Baumwolle aus den U.S.A. oder China.
Die indische Regierung hat mittlerweile die Notlage der Landbevölkerung erkannt und neben den Korrekturmaßnahmen zur Liberalisierung des Agrarsektors im Jahr 2008 ein 10 Milliarden Euro Hilfspaket verabschiedet. Mit dessen Hilfe sollen 30 Millionen Kleinbauern die Schulden erlassen werden. Leider profitiert nur ein Bruchteil der Bauern von dieser Hilfe, da das Programm nur Kredite bei Banken, nicht aber bei lokalen Geldverleihern einschließt.
Die Aussichten für Indiens Bauern werden sich nach Einschätzung von Experten auch in naher Zukunft nicht bessern. Geschichten wie die vom Slumjungen Adarsh und seiner Familie werden daher bei Prem Dan sicherlich noch lange zu hören sein.
(Quellen: www.Auswartiges-Amt.de; www.spiegel.de; Wikipedia)