Neulich, ein Flugeinsatz nach Mumbai mit 24 Stunden vor Ort. Nicht lang, aber genug Zeit für einen kurzen Besuch der Slumschule Prem Dans im Reay Road Slum. Ich folge Schwester Helen durch die engen Gänge des Slums. Es riecht nach Fäkalien und es ist feucht und heiß. Die Wellblechütten und Holzverschläge stehen so eng beeinander, dass selbst die hochstehende Sonne es kaum schafft das Dämmerlicht unter den Folien, die zum Schutz vor dem Monsunregen auch über die Durchgänge gespannt sind, zu durchbrechen. Slumhütten haben keine Türen, meist nur notdürftig verhangene, selten blickdichte Wandöffnungen, die den Blick in schwarze dunkle Löcher frei geben. Ich erkenne im Vorbeigehen oft nur schemenhaft Bettgestelle ohne Matratzen, Gaskocher, Blechtöpfe, Plastikwannen und Stofffetzen, die den Boden bedecken. Von den Menschen, den Kindern, die mich aus dem Dunkel anblicken, erkennt man oft nur das Weiß der Augen und der Hände. Ich bin, wie immer wenn ich hier bin, betroffen, berührt und irgendwie auch wütend angesichts der Armut und des sich hier offenbarenden menschlichen Elends. Und auch diesmal fallen mir Bert Brechts Verse ein:
„Denn die einen sind im Dunklen/ Und die andren sind im Licht/ Und man siehet die im Lichte/ Die im Dunklen sieht man nicht.“
Sie haben diese Worte aus der der Dreigroschenoper sicherlich schon oft gehört. Sie treffen auf fast alle Orte des Unheils zu, Orte wie hier in den Slums Mumbais, an Orten des Krieges, in Gaza, der Ukraine, in Myanmar oder dem Sudan, wo Millionen vom Hungertod bedroht sind. Und wie steht es um die Opfer von häuslicher Gewalt, Rassismus, Armut oder Einsamkeit in unserem Land, in unserer Nachbarschaft? Wer verleiht den Betroffenen Gehör und Zuwendung, wer bringt ihre Geschichten ans Licht? … Aber zurück in den Reay Road Slum: Noch bevor ich mich in den Gedanken über meine individuelle Machtlosigkeit gegenüber den globalen Problemen verliere, stehen wir vor der Slumschule, einer Hütte mit festen Mauern und einem Wellblechdach. Hier werden ca. 100 Kinder im Vorschulater unterrichtet, ernährt und umfassend betreut. Und während ich wie immer lautstark und freudig empfangen werde, den Liedern lausche und die Tanzvorführungen bewundere, weicht mein „Weltenfrust“. So klein, einfach und unscheinbar dieser Ort ist, so schwer er zu erreichen ist, so strahlt hier so vieles heller als all das Dunkel vor der Tür vermuten lässt: Es ist ein Ort der bedingungslosen Nächstenliebe und der tatkräftigen Zuwendung, der Menschlichkeit und der Hoffnung. Und er erinnert mich, wenn ich jetzt kurz vor Weihnachten an diese Momente mit der Ordensschwester Sr. Helen und den Kindern Prem Dans im Slum zurückdenke, an einen anderen, einfachen, unscheinbaren und ärmlichen Ort: Einen Stall in Bethlehem, der der Ausgansort für das war, was ich hier sehe und erlebe und der die Welt für immer verändert hat.
Danke, liebe Patinnen und Paten, liebe Spender und Spenderinnen, dass Sie auch in diesem Jahr dank Ihrer Großzügigkeit diesen Zufluchts- und Hoffnungsort für die Kinder aus Mumbais Slums ermöglicht und getragen haben.
Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachtstage im Kreise Ihrer Lieben und ein glückliches und gesundes neues Jahr!